Ein Bericht zum Studientag „Nimm das Kind und flieh – Flucht als Herausforderung des Glaubens“ am 19.11.2014
von Hanna Miethner und Jolanda Gräßel
Wir sind Studierende. Für uns – so mag man meinen – ist jeder Tag ein Studientag, ein Tag, an dem man gemeinhin studiert. Wieso also maßt sich die Fachschaft Theologie nun ein weiteres Mal an, den Lehrbetrieb am Buß- und Bettag zu pausieren und feierlich einen Studientag zu deklarieren?
Dazu lohnt sich zunächst ein klarer Blick auf das, was da eigentlich passiert ist, an einem Mittwoch im Schmitthennerhaus:
Der erste Befund des Tages: der Saal ist gut gefüllt. Bevor er angefangen hat, ist das schon ein großer Erfolg – die gelben Flyer liegen noch auf einigen Stühlen und Tischen, die sozialen Netzwerke erholen sich von extensiven Veranstaltungsankündigungen.
Jetzt kann es inhaltlich werden: Und das heißt für den Studientag zunächst, dass wir uns mit dem Inhalt einer biblischen Geschichte auseinandersetzen wollen. Mit der Methode des Bibelteilens tauschen wir uns aus über Mt 2, 13-20 aus und können bereits erste Bezüge zum Thema herstellen. Der Text beschreibt vor allem die Erfahrung von Gewalt und Ohnmacht, die Flüchtende machen.
Wieder im Plenum wird das um einiges plastischer: Dem Austausch in Kleingruppen folgt die Schilderung eines unserer Kommilitonen: Jassir Eric ist selbst aus dem Sudan geflohen, nachdem er sich hat taufen lassen und seine Familie ihn für tot erklärt hatte. Bei dieser Erfahrung bot ihm besonders der Glauben Halt und Trost. Damit hat Jassir so manch eine Selbstverständlichkeit unseres vergleichsweise sicheren Alltags infrage gestellt und eine uns weitgehend unbekannte Perspektive eröffnet.
Nach diesem persönlichen Einblick folgte eine Einschätzung der Fluchtbedingungen und vor allem der europäischen Sicherheitspolitik durch Frau Ulrike Duchrow. Langjährig engagiert in diesem Bereich, kann sie von überfüllten Flüchtlingsboten, unterlassener Aufnahme und Not der Erstankunftsländer berichten. In diesem Zusammenhang fordert sie mehr Unterstützung der europäischen Mittelmeerstaaten sowie eine Quotenreglung, die eine mögliche Aufnahme auch an andere innereuropäische Staaten vorsieht.
Bisher haben wir also einen persönlichen Eindruck von Flucht und eine Schilderung der Fluchtbedingungen gehört und mit dem nächsten Referenten die Möglichkeit, mehr über ein Asylverfahren hier in Deutschland zu erfahren.
Johannes Moll von der Flüchtlingsberatung der Diakonie Heidelberg schildert die Situation in Flüchtlingseinrichtungen vor Ort: in seiner Erzählung klingen Konflikte, mangelnder Schlaf, Furcht vor nächtlicher Abschiebung und Beengung an.
Noch regionaler und greifbarer wusste Marian Palager zu berichten. Seine Masterarbeit im Bereich Diakoniewissenschaften konzentrierte sich auf die Flüchtlingsarbeit der Diakonie in Heidelberg. Dabei stellte er alle Veränderungen dar, die sich hin zu einer professionelleren Lobbyarbeit im Bereich Asyl bewegen. Auch aus seinem persönlichen Engagement schöpfend kann er Einblicke in verwahrloste Einrichtungen geben, in denen Flüchtlinge mehr oder weniger permanent ohne Beschäftigung leben.
Damit war der Ton der Veranstaltung gesetzt und konfrontierte die Teilnehmenden mit Eindrücken, Informationen und Perspektiven auf das Thema Flucht. Am Ende blieb die Frage: „Was bedeutet Glauben im Kontext von Flucht und Asyl?“ derer wir uns am Nachmittag zuwenden wollten.
Für einen neuen Tagesabschnitt trafen wir uns gestärkt im Gewölbekeller des Schmitthennerhauses wieder: die Aufstellung des Raumes ist Programm: acht Tische kündigen je eine Expertin, einen Experten an, der sich gleich dort mit Studierenden weiter auseinandersetzen wird. Diese sind Ali-Rheza Saiid-Manesh, Ältester in der Kapellengemeinde und selbst aus dem Iran geflohen, Ekkehard Heicke, ein Pfarrer im Ruhestand, der sich selbst engagiert um Kirchenasyl bemüht gemacht hat, Thomas Renkert, der sich gerade theoretisch mit einer Theologie des Asyls auseinandersetzt, die uns schon vom Vormittag bekannte Ulrike Duchrow sowie Johannes Moll, Murat Yulafci und Patricia Fischer aus der Heidelberger Mosaikgemeinde, Susanne Sommer vom Asylarbeitskreis und Benjamin Krauß, der im vergangenen Sommer die Lage ankommender Flüchtlinge in Griechenland vor Ort verfolgt hat.
Im Rahmen des Weltcafés finden sich Studierende innerhalb von drei Runden á 15 Minuten an den Tischen ein. Diese Zeit können sie nutzen, um vertiefende Fragen zu stellen, die sich immer wieder an die Überlegung zum Zusammenhang von Flucht und Glauben zurückbinden.
Nach angeregter Diskussion und um ein weiteres Mal verschobenen Blickwinkeln werden der reiche Ertrag aller Gespräche zusammengestellt.
Eine solcher Ertrag konzentriert sich vor allem auf den Komplex von Kirchenasyl. Für uns stellt sich ganz konkret die Frage, wie eine solche Form von Asyl für uns als potentiell angehende PfarrerInnen praktizierbar ist. Dazu erfahren wir, dass ein solches Bestreben meist in Zusammenarbeit mit der diakonischen Beratungsstelle und juristischem Beistand funktioniert. Ausschlaggebend dabei ist vor allem ein ausrechend starker UnterstützerInnekreis; biblisch fundiert sei eine Form von Kirchenasyl auf jeden Fall: immerhin sei es Kernbestand der christlichen Botschaft, Ausgrenzung in Teilhabe, Marginalisierung in Gemeinschaft umschlagen zu lassen. Unstrittig muss bleiben, dass eine christliche Kirche für alle bedrohten und Not leidenden Menschen unabhängig von deren religiöser Bindung offen ist.
Wir sind Studierende. Wir studieren. Und das fein säuberlich quantifiziert durch Leistungspunkte, gegossen in Wochenstunden, zementiert in dezimal bezifferte Noten. Wir sind Studierenden und das heißt nicht, dass wir das nur sind, sobald uns jemand einen Stundenplan auftischt, demnach wir unsere Speise kontrolliert und institutionell verbürgt zu uns nehmen. Vielmehr bedeutet uns das Gestaltungsraum, Möglichkeit, Inhalte zu schaffen, zu präsentieren und zur Diskussion zu stellen. Am Ende dieses Tages steht völlig außer Frage, dass der Studientag dieser Ambition in Gänze Rechnung getragen hat. Nicht zuletzt und in gebührender Anerkennung vieler Mühen konnten wir diesen Studientag erleben, weil ein paar wenige Menschen engagiert an dem Projekt Studientag gearbeitet haben. Benjamin Krauß, Hajo Kenkel und Jonathan Steinestel gilt unser Dank.
Auch und besonders heute haben wir studiert: haben uns in Inhalte vertieft, waren kritisch, involviert, betroffen, analytisch und vor allem waren wir nachhaltig begeistert!
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